Geschmack — schmacklos

Geschmack – schmacklos

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Richard von Schaukal
Rrichard von Schaukal wurde am 27. Mai 1874 in Brünn und starb am 10. Oktober 1942 in Wien. Er war ein österreichischer Dichter, im Brotberuf Jurist und hoher Beamter der k.u.k Monarchie.
http://gutenberg.spiegel.de/buch/vom-geschmack-7541/14

Psychologie der Kleidung, ein Digest

I. Vom Geschmack in der Männerkleidung

Das Grundgesetz »guter« Kleidung freilich müsste scheinbar paradoxerweise lauten: gut angezogen ist nur der, der nackt »gut angezogen« scheint, d. h. nur der Mann wird seine Kleidung gefällig zu tragen in der Lage sein, der sich selbst gefällig trägt. Aber es ist anderseits eine richtige Beobachtung, dass die athletisch oder skulpturmässig bestgebauten Menschen im allgemeinen in der heutigen Männertracht eine schlechte Figur machen.

Gehen wir dem Eindruck eines gut gekleideten Menschen – und es ist dies nicht etwa »Geschmacksache«, sondern Sache »des« Geschmacks – nach, so finden wir ein Gesetz auch auf diesem unbedeutenden Gebiete bestätigt, das sich etwa also ausdrücken lässt: gefällige Eindrücke werden nur durch den Rhythmus. Das Gesetz der Welt ist das Gesetz des Rhythmus. Und wie sich der Rhythmus des Universums bis ins Gebiet der leblosen Natur nachweisen lässt, so wird auch noch so willkürliches Menschenwerk der Vollkommenheit so nahe kommen, als es – Takt erweist. Das Geheimnis der Männerkleidung ist Takt.

Die Mode und ihre Vorschriften besagen gar nichts. Man kann ganz unmodern und doch trefflich gekleidet sein. Und man kann nach dem neuesten Journal und doch entsetzlich gekleidet sein. Die Kleidung muss ihrem Träger gemäß, sie muss von ihm »getragen« sein. Niemals »trägt« die Kleidung den Träger. Das ist ein grober Irrtum armer Selbsttäuscher.

Wer ist gut angezogen? Die höheren gesellschaftlichen Klassen. Warum? Weil sie mehr Geld haben und mehr Geld und Zeit darauf verwenden? Immerhin eine Erklärung. Aber das Wesentliche sagt sie nicht, denn auch der Parvenu verwendet Zeit und Geld darauf, nur ohne Erfolg. Und anderseits wenden sehr viele Mitglieder der so genannten (und mit Fug sogenannten) höhern Klassen weder Zeit noch Geld darauf und sehen doch gut aus. Warum also? Weil sie Geschmack haben. Was ist aber Geschmack? Geschmack ist nichts als Takt, das ist Gefühl für Rhythmus. Der wirklich geschmackvolle Mensch findet Dinge unerträglich, die »Künstler« verzückt bewundern. Es gibt eben einen höheren Geschmack als »künstlerischen«.

Die Mode hinkt zumeist dem Geschmack und seiner Laune nach. Verlassen kann man sich nie auf sie. Aber dem Geschmackvollen kann auch niemals etwas »passieren«. Er mag geruhig die Mode auf einem Dornröschenschlosse verschlafen. Er kommt immer zurecht. Denn er hat, wie alle Körper, die Schwerkraft, das Gesetz in sich. Beflissenen muss man immer wieder mit dem Metronom nachhelfen. Und sie werden niemals die nachtwandlerische Sicherheit der Auserwählten erlangen.

II. Die Schönheit der Männertracht

Die Schönheit der heutigen Männertracht ist in ihrer Nüchternheit begründet. Nur dem allerfeinsten Geschmack ist leise Nuancierung der diskreten Farbigkeit gestattet.

Die Schönheit der Männerkleidung besteht im Takt der Zusamenstellung. Es ist keineswegs gleichgültig, was man zusammenfügt. Willkür wirkt geschmacklos. Und da sei auch ein oft missverstandenes Kapitel gestreift: der sogenannte Zwang der Anstandstracht. Er ist heilsam, dieser Zwang. Strengste Regeln sollten den Touristen in Alpentracht aus dem Speisesaal des Hotels verweisen. Er hätte seine Unart – denn Unart ist sein Verlangen, unvorbereitet einzutreten in den Kreis der Sorgfältigen – durch deutliche Missachtung zu büssen. Ich liebe den Lodenrock, die lederne Hose: ich fühle mich unendlich wohl in dieser eine Tradition des Naturdienstes verkündenden Tracht. Aber ich fühle mich ebenso wohl im Frackanzug, wo ihn die Situation erfordert. Der Zwanglosigkeit gewisser gesellschaftlicher Zusammenkünfte habe ich nie Geschmack abgewinnen können. Die Sitte ist ein Bildungsmittel allerersten Ranges. Heil der Sitte, heil ihrem erzieherischen Zwange!

Fluch der Unsitte, zumal wenn sie missverstehenden Protest bedeutet! Es ist ein arger Irrtum, wenn man Zuchtlosigkeit mit Freiheit verwechselt. Wo bliebe der Anstand, wenn man in diesem Sinne Freiheit walten ließe? Gehen, essen, sprechen, alles muss man lernen. Glücklich der Mensch, dem eine gute Erziehung zuteil geworden ist. Es muss ein sehr seltnes Glück sein, denn ich sehe entsetzlich viele arme unerzogene Menschen.

Wie jämmerlich ein unerzogener Mensch wirkt, wenn er sich als gebildet erweist, ist gar nicht zu sagen. Leider aber glaubt der Deutsche durch geistige Bildung alles ersetzen zu können, was ihm an Sitte und Sinn dafür abgeht. Der Verstand ist eine schöne Sache, die Vernunft ist mehr. Und es ist unvernünftig, dort verständig sein zu wollen, wo Höheres gebietet, vernunftlose Musik, Takt.

Was ist an unsrer heutigen Damentoilette so wunderschön? (Und ich bekenne gern, dass sie entzückend ist.) Es ist der vollendete Klang der verhüllten, aber betonten Körperform. Das Gesetz des Körpers betätigt sich in Freiheit, und seine Wirkung ist Maß. Man kann das Tempo dieses Maßes beschleunigen oder verlangsamen, das ist Sache des Geschickes und bedingt durch die Körperverhältnisse. Der Mann operiert durch seine Kleidung mit seinem Körper ähnlich. Aber wenn es das Wesen der Frauenschönheit ist, zu musizieren (Reiz ist ihre Seele), hat der Mann, dunkler, gehaltener, das Beweglichere der Anmut zu begleiten. Ein niedlicher, ein zierlicher, ein geschniegelter Mann wirkt lächerlich, denn seine Art ist in der Kontur der Kraft, im Ausdruck des Geistes, im Zug der Energie gezeichnet. Aber Kraft betont sich nicht am Speisetische, im Salon. Während der Sportanzug, zumal im gegliederten Beinkleid, dem Körper des Mannes zu seiner Kraftform verhilft, hüllt ihn der Strassen-, der Zimmeranzug ins Unscheinbare der modernen sozialen, einer vorzugsweise unkörperlichen Wirksamkeit.

Die nette, liebenswerte Dame, welche sich hin und wieder im Taschenspiegel überprüft und zurechtmacht, selbige Welt! – wirkt gemeinsam.

 

… jemandes Zuhause sein? — Poesie / Humor